Margarete Jehn

Geboren in Bremen am 27. Februar 1935
Musikstudium.
Längerer Aufenthalt in Schweden.
Lektorate für die Hörspieldramaturgie des SWF, vor allem für skandinavische Stücke. Auftritte mit der Folkloregruppe SIMPLEX.
Lebt in Worpswede bei Bremen.

Arbeiten und Preise:

* 1964 Hörspielpreis der Kriegsblinden
für die erste literarische Arbeit - „Der Bussard über uns”.
Hörspiele, Fernsehspiele, Lyrik, Prosa, Lieder, Übersetzungen aus dem Schwedischen
und Dänischen.
Bekannteste Arbeiten für Kinder und Jugendliche: Charly-Geschichten („Papa, Charly hat gesagt...”);

* 1984 „Jacke” Preis der Autorenstiftung
* 1985 „Jacke” Deutscher Kinderhörspielpreis
* 1987 „Assars Abenteuer im Menschenland” Deutscher Kinderhörspielpreis
* 1990 „Jenny Ratz und das Glück der Schweine” Deutscher Kinderhörspielpreis

Viele Lieder im Autorenverlag Worpsweder Musikwerkstatt und in Liedsammlungen anderer Verlage in Deutschland, Österreich, Dänemark und der Schweiz.

Führt seit 1984 gemeinsam mit Wolfgang Jehn - und inzwischen auch mit den beiden Söhnen Nicolas & David - den Autorenverlag WORPSWEDER MUSIKWERKSTATT, richtet Musikseminare für Lehrer und Erzieher aus, gibt Liederbücher, Liederhefte und CDs heraus. Singt, komponiert und schreibt.

Eine Frau, 30 Jahre alt, eher klein, sehr zierlich, wenn auch nicht gebrechlich, mit dunkel brennenden Augen. Kein Hauch von Nerz, von Bohème, auch nicht von Gretchen. Aber sie ist schön, sie lacht gern, sprudelt manchmal über von jenem Unsinn, der auf der Schwelle der Weisheit spielt, und ein, sagen wir, vierjähriges Mädchen möchte ihr nach einer halben Stunde seine Puppe schenken, ein elfjähriger Junge seinen Baukran, ein Mann sein Auto.
Sie ist Frau eines Organisten und hat zwei Jungen, denen sie phantastische, zweckfreie Geschichten erzählt. Die Familie lebt auf dem Lande, das norddeutsche Dorf hat noch keine Wasserleitung - kann man sich das Mehr an Haushaltslast noch vorstellen, 20 Jahre nach der Stunde 0? Jetzt im Sommer wollen sie umziehen nach Bremen, das ist also ein großer Schritt vorwärts, aber die Kinder müssen auf den städtischen Straßenverkehr vorbereitet werden, auf Bürgersteige und Treppenhäuser; die Wiesen bleiben zurück, die Höfe, die Haustiere, der freie Auslauf.
Nun, so oder so ähnlich leben wir alle, und sind dabei, wie das zynische Wort lautet, ausgelastet, erfüllen unser Soll an täglichem Kram, das ist auch unsere liebe Not.
„Wir wohnten in der Nähe eines Manövergebietes“, schreibt Frau Jehn, „nachts wurde oft geschossen oder es fuhren Panzer vorbei, mein junger Sohn wachte auf und weinte.“
Sehr alltäglich, nicht wahr? Aber nun fährt sie fort: „Ihn konnte ich beruhigen, mich selbst aber nicht. So stand ich auf und schrieb dagegen an.“
Das ist wörtlich zu verstehen. Diese junge, fröhliche Frau steht so gut wie jeden Morgen um 5 Uhr auf, braut sich zwei starke Tassen Kaffee und schreibt so lange, bis die Kinder erwachen. Auf diese Weise gewann sie im vergangenen Jahr, 1964, den Hörspielpreis der deutschen Kriegsblinden.
Das ist ein renommierter Preis, viele Profis begehren ihn heiß, berühmten Namen gereicht er zur Ehre: Ingeborg Bachmann, Günter Eich, Wolfgang Hildesheimer. 1964 errang ihn, um bei der Sportsprache zu bleiben, ein krasser Außenseiter. Ein Außenseiter?<br>
Das Hörspiel „Der Bussard über uns“ liegt als bislang einziges Werk von Margarete Jehn auch gedruckt vor. Die Kritik rühmt den schmalen Text einhellig. Er handelt von einigen Kindern und einem russischen Kriegsgefangenen, die elend zugrundegehen. Aber sie sterben getröstet und fast ohne Angst, fast in Heiterkeit, denn sie haben einander die Angst weggenommen, Trost gebracht.
Rätselvoll die schwebende Rolle des Bussards über ihnen allen, des helfenden Raubvogels, des geflügelten Boten voll Macht und grausamer Barmherzigkeit; Kinder, Gefangene, Tiere, Träume, spröde Musik: die wild und zärtlich erwachende Welt. Ihr ist das Kettenhemd der Gewalt übergestreift: Sirenen, Lederstiefel, Bomben, Bordwaffen, das Schreckenslager über dem Fluss. Eigenartig kühl, fast feindselig werden die Mütter gezeichnet.
Was dieses Hörspiel einzigartig macht und was auch in den neuen, unveröffentlichen Texten wiederkehrt, Gedichten, Erzählungen, weiteren Hörspielen, ist die nahtlose Einheit von Poesie und Aggression, von reiner Lyrik und politischem Engagement. Wie reimt sich zusammen, was sich doch zu fliehen scheint wie Feuer und Wasser?
Es gibt wohl eine ganz natürliche Erklärung, oben ist sie zitiert. Die Mutter muss ihre Kinder schützen gegen die Gewalt, die sich draußen äußert, und es ist gerade ihre zärtliche, einfühlsame Liebe, aus der Hass und Kühnheit aufstehen. Der kreatürliche Mut, den die Natur jeder Mutter einflößt, auch jeder Tiermutter, wenn ihre Jungen bedroht sind, er hat sich hier menschlich sublimiert und ist Literatur geworden. Als das „Jahrhundert des Kindes“, so hat man einst das zwanzigste großmäulig proklamiert.
Noch nie aber gingen und gehen so viele Kinder zugrunde wie in unseren Tagen, auf den Schlachtfeldern, auf den Straßen, in den Lagern und in den Wohnungen. Dagegen spricht Margarete Jehn an mit leiser, fester Stimme, aber genügt das zur Erklärung? Es hat ja, so sagt man, auch keinen Zweck.
Jeden Morgen von 5 Uhr bis zum Erwachen der Kinder die weiße Leere des Papiers auf dem Schreibtisch. Die eine liebe Not gegen die andere. Texte missglücken oder glücken, in allen walten Grausamkeit und Barmherzigkeit und die dunkel leuchtende Farbe des Märchens. Eine junge Frau müht sich damit ab. Sieht man sie an, so wird dem Herzen besser.

Hörspielpreis vom Bundeskanzler
Worpsweder Autorin und Musikerin Margarete Jehn steht 1964 vor Ludwig Erhard
Seit 40 Jahren im Künstlerdorf
Von Lars Fischer Worpswede.

Sie ist keinem böse, der sie als "alte Moorhexe" anspricht. Viele Künstler müssen damit leben, dass sie gleich gesetzt werden mit ihren berühmtesten Figuren. Aber Margarete Jehn will nicht auf die Kinderlieder-Autorin und -Interpretin reduziert werden. Am Anfang ihres Schaffens stehen Werke für Erwachsene, zunächst Hörspiele, denen Lyrik und Prosa folgten, ehe sie mit ihrem Mann Wolfgang Jehn die Worpsweder Musikwerkstatt gründete. Dann erscheinen die Aufnahmen, mit denen seither Generationen von Kindern weit über das Teufelsmoor hinaus groß geworden sind.
Vor 25 Jahren haben sich die Jehns selbstständig gemacht; seit 40 Jahren leben sie in Worpswede; im Februar feierte Margarete Jehn ihren 75. Geburtstag: Gründe genug, um mit der Autorin, Musikerin und Übersetzerin Rückschau zu halten auf eine Karriere, die mit einem Paukenschlag begann.
Am besten geht das bei ihr zu Hause - angesichts des kleinen roten Holzbaus möchte man fast schreiben: "in ihrem Hexenhäuschen" - bei einer Tasse Tee am Kamin, Margarete Jehns Lieblingsplatz. "Wenn mir sonst gar nichts mehr einfällt, hier klappt es immer!", sagt sie.
Renommiertesten Preis gewonnen 1964 wird die damals 28-Jährige fast über Nacht berühmt, als sie für ihr Hörspiel "Der Bussard über uns" mit dem Preis der Kriegsblinden ausgezeichnet wird. Diesen renommiertesten deutschen Preis für Hörspiele, den unter anderen auch Friedrich Dürrenmatt, Ingeborg Bachmann und Heiner Müller bekommen, wird Margarete Jehn vom Bundeskanzler Ludwig Erhard überreicht. An dem schweren, bronzenen Tukan sind noch immer zwei kleine Löcher im Sockel zu sehen. "Da war ein Schild mit meinem Namen", erklärt Margarete Jehn, "das habe ich gleich abgebaut."
Eitelkeit ist ihr offenbar fremd. Fotografieren lassen mag sie sich auch heute höchst ungern und erst nach langer Überredungskunst. Ob sie die Bilder ansehen möchte? "Nein, auf keinen Fall!" Als Siebzehnjährige nach Schweden Geboren wird die Schriftstellerin am 27. Februar 1935 in Bremen als Margarete Rollny. Nachdem sich ihre Eltern getrennt haben, geht sie als Siebzehnjährige nach Schweden. Dort lebt ein Onkel, der einzige Verwandte, der sie beherbergen kann. Die Erlebnisse sind alles andere als romantisch;, die Jugendliche muss sich mit Gelegenheitsjobs durchschlagen. Ein Vierteljahr sagt sei kein Wort, beginnt dann aber Schwedisch zu sprechen. Eine Anstellung als Telefonistin tut das Übrige, und sie beherrscht die Sprache bald so gut, dass sie später als Übersetzerin Geld damit verdienen kann.
Ihre nächste Arbeitsstelle verdankt sie aber der Liebe zur Musik, die sie von ihren Eltern mitbekam. Im Sommer hat sie im königlichen Moorbad eine Anstellung gefunden, und als die Saison zu Ende geht, hört die Gattin des Kurdirektors die junge Frau bei der Arbeit singen. Sie ist von der Stimme der Deutschen so fasziniert, dass sie sie sofort als Kindermädchen für ihre vier Söhne engagiert.
Zurück in der Heimat, spielt die Musik eine noch folgenschwerere Rolle: Margarete trifft den Musiker Wolfgang Jehn und weiß sofort: "Wer so schön spielen kann, den musst du mit nach Hause nehmen!" Schnell kommt den frisch Verheirateten die Idee, gemeinsam Lieder zu schreiben und - auch das stellt sich zügig heraus - gebraucht werden vor allem gute, neue Kinderlieder. Die Einkünfte bleiben dürftig und Kollegen warnen: "Schreib nicht für Kinder, dann ist das Image hinüber!" Die Antwort fällt klar aus: "Ihr könnt mich mal!" Zunächst entstehen Arbeiten für Erwachsene, ohne große Ambitionen. Über Umwege und durch Zufälle landet jedoch ein Jehn- Manuskript beim Südwestfunk.
Eigentlich liegt "Der Bussard über uns" schon im Stapel der abgelehnten Einsendungen, als der Regisseur Peter Schulze-Rohr darin blättert und sofort Feuer und Flamme ist. 1963 wird das Hörspiel produziert. Als es im folgenden Jahr prämiert wird, erfährt Margarete Jehn davon beim Kaufmann. Der hat in Beckedorf bei Vegesack, wo die junge Familie inzwischen lebt, das einzige Telefon - bei weniger dringenden Anlässen werden Telegramme geschickt. 1964 steht sie bei der Preisverleihung dem damaligen Bundeskanzler Ludwig Erhard gegenüber.
In den folgenden Jahren entstehen zahlreiche weitere Hörspiele, unter anderem diverse Folgen für die erfolgreiche Serie "Papa, Charly hat gesagt". 1970 besuchen Margarete und ihr zweiter Sohn David einen Freund in Worpswede - und wollen nicht mehr weg. In der Mackensen-Villa ist eine Wohnung frei, und sie verbringen die erste Nacht dort in Schlafsäcken, bis Wolfgang und der ältere Sohn Nicolas nachfolgen.
Die Stelle als Organist in Bremen muss der Familienvater aufgeben, der Liebe zum Landleben wegen.
Nicolas, der die Worpsweder Musikwerkstatt heute mit seinem Bruder weiterführt, ist auch das Lied von der alten Moorhexe zu verdanken. Er bekommt in der zweiten Klasse eine Strafarbeit auf: eine Seite abschreiben. Seine Mutter hat Mitleid, meint - getreu dem Motto: "Prosa ist nebeneinander, Lyrik untereinander" -, ein Gedicht geht schneller und schreibt den Text aus dem Stegreif auf. Freunde hat sich der Sohn damit nicht gemacht: Dem Lehrer gefällt das Werk so gut, dass die anderen Mitschüler es abschreiben müssen.
Im vergangenen Jahr erhält Margarete Jehn eine Anfrage eines alten Weggefährten: "Liebes Gretchen", schreibt er, "willst du nicht noch mal ein Hörspiel schreiben?" Die Autorin lehnt ab, sie möchte noch Prosawerke vollenden und für ihre beiden Söhne und vier Enkelkinder ihre Familiengeschichte aufzeichnen.
Vielleicht ist sie ja davon zu überzeugen, noch mehr aus ihrem eigenen Leben zu erzählen und es auch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Es kommt ja nicht jeder in den Genuss, mit dieser außergewöhnlichen Frau Stunden am Kamin zu verbringen.

© Copyright Bremer Tageszeitungen AG Ausgabe: Wümme Zeitung Seite: 6 Datum: 05.05.2010

Hörspiele von Margarete Jehn bei Hördat, Berlin